Der Primat der Wirtschaft weicht dem Primat der Gesellschaft. Es sind die gesellschaftlichen Herausforderungen, die zunehmend darüber entscheiden, ob sich eine Innovation durchsetzt, ob ein Unternehmen eine Zukunft hat oder nicht. «Corporate Social Responsibilty» kann die Legitimitätsprobleme von Unternehmen oder ganzer Branchen nicht lösen, der «good corporate citizen» bemüht sich redlich, aber oft mit bescheidener Wirkung. Die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen muss im Kern der Geschäftsmodelle eine überzeugende Antwort finden.
Die (Wieder-)Entdeckung der Gesellschaft ist weltweit im Gange. Die etablierte Politik ringt mit populistischen Aufwallungen, die Wirtschaft mit Legitimationsproblemen. Die grossen Technologie-Unternehmen kämpfen nicht mit primär mit technischen Mängeln, sondern mit den gesellschaftlichen Folgen ihrer Geschäftsmodelle.
Gehandelt wird stets nur reaktiv – wenn der Protest so lautstark wird, dass er nicht mehr ignoriert werden kann. Facebook stolpert über den Umgang mit privaten Daten; UBER muss zur Kenntnis nehmen, dass die Fahrer in den Augen vieler Staaten keine Unternehmer, sondern Angestellte sind; Airbnb hat in vielen Innenstädten eine Mietpreis-Spirale in Gang gesetzt, der politische Widerstand wächst.
Diese brisante gesellschaftliche Dimension wurde in den letzten Jahrzehnten systematisch vernachlässigt. Sie ging unter im «Innovationstheater» von Big Tech und der Faszination für immer neue Trendbegriffe und Technologien, die auch weite Teile der traditionellen Wirtschaft erfasst hatte.
Jetzt lautet die Devise: «It’s the society, stupid!». Unternehmen benötigen ein Verständnis über mögliche Folgen, die Geschäftsmodelle oder Technologien im Alltag der Menschen haben könnten. Sie müssen ihre Angebote so gestalten, dass nicht nur Kundinnen und Kunden, sondern die ganze Gesellschaft profitiert.
Wer Entwicklungen auf dem gesellschaftlichen Radar frühzeitig erkennt, hat einen entscheidenden Vorteil – sei es als Unternehmen, sei es als staatliche Instanz, die regulatorische Massnahmen nicht reaktiv, sondern frühzeitig zu entwickeln muss.
Die gerade in der Schweiz tief verankerte Gegenüberstellung von gesellschaftlich-politischer Stabilität und digitaler Disruption schwächt letztlich beide Seiten: Die Gesellschaft, die zur Bastion der Besitzstandwahrung verkommt. Und die Digitalisierung, die als bedrohlich wahrgenommen wird und deren riesiges Potenzial man deshalb kaum mehr zu erkennen vermag.
Gewiss: «Die Gesellschaft» ist eine diffuse Grösse, hoch komplex und voller Widersprüche. Aber wer sich nicht ernsthaft mit ihrer Befindlichkeit, ihren Bedürfnissen und Anforderungen auseinandersetzt, wird nicht zu den Erfolgreichen des 21. Jahrhunderts gehören.